Text für das Portfolio Rayk Goetze | Leipzig | August 2022
Da joggen Engel der Verkündigung und da ist ein Junge, der in Badeshorts in ein
Karaoke-Mikrofon singt. Vielleicht performt er ja sogar den titelgebenden Song.
Sieht so die Hölle aus? Oder der Himmel? Oder sind wir irgendwo dazwischen? Vielleicht in einer Parallelwelt, die wie eine Plastiktüte von einer Böe getragen durch das Universum gleitet. In Rayk Goetzes Kunst machen wir einen Ausflug in schnelllebige Sequenzen, in gelassene Spaziergänge, in eindrucksvolle Augenblicke. Ein melancholischer Frühling weht wie eine frische Brise, mal mit einem Pastellgelb oder Limettengrün, mal mit einer Blutorange oder einem poppigen Pink-Violett durch seine Welten. Metallische Graunuancen sowie die Farben Weiß und Nachtblau mattieren die Szenerien in einer friedvollen Rahmung. Doch die Werke funkeln selbst in der Dunkelheit. Schimmernde Goldtöne veredeln die sonderbare Exkursion: Da joggen Engel der Verkündigung und da ist ein Junge, der in Badeshorts in ein Karaoke-Mikrofon singt. Vielleicht performt er ja sogar den titelgebenden Song. Hunde spazieren am Strand, fast hört man schon das harmonische Zwitschern der Schwalbe. Monumental prangt ein Rappe mit zwei Reitern im Bildzentrum. Wo zur Hölle sind wir? Und finden wir es schön – da, wo wir sind?
Doch ist es nicht nur das „Wo“, das hier die Fragen stellt, sondern auch das „Wann“. Goetzes Arbeiten spielen mit Dimensionen von Geschwindigkeit. Sind wir ent-schleunigt oder be-schleunigt? Bewegen wir uns vor- oder rückwärts? Seine Figuren schweben zwischen den Welten, sie balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Stillstand und Höchstgeschwindigkeit. Mal beäugen sie uns verdächtig aus dem Augenwinkel, mal müssen wir ihrem durchdringenden Blick standhalten. In ihren Silhouetten wirken sie in ihren motorischen Prozessen eingefroren und sind dabei lebendiger denn je: Ihre dynamische Vitalität strömt uns aus ihrer Rahmung heiß entgegen. Festgehalten in verschiedenen Bewegungsphasen erzeugt der Künstler seine ganz eigene Zoopraxiskop-Praxis. Die Ergebnisse erinnern an die Ursprünge der Hochgeschwindigkeitsfotografie, vor allem, wenn Goetze das Motiv des Pferdes ins Spiel bringt. Der Reiter fällt vom steigenden Ross ab, doch stürzt er auch? „Doch dann fiel ich ab, ja dann fiel ich ab“ – aber was passiert, nachdem der goldene Reiter gefallen ist? Steigt er auf das nächste Pferd und trabt in ein anderes Bild weiter, wird zum Tempelritter in einem Zauberwald?
Befreit von weltlichen Limitationen existieren die Szenerien des Künstlers weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sie sind überall und nirgendwo. Ein einzigartiger Blick ruht auf den möglichen Dimensionen von Raum und Zeit: Wir schweben im scheinbar unmöglichen Zwischenraum ihrer Schnittpunkte.
Geometrische Löcher, Schraubenfurchen, Röhren und Metallösen kreieren eine urbane Schablone, die manches Gemälde wie im Vorübergehen streift. Sie erinnern an Konstruktionen, die etwas zu fixieren versuchen. Ihnen gegenüber stehen Linien und Verwischungen, die wir von langzeitbelichteten Fotografien wiedererkennen. Sind es Spuren der Zeit? Fingerabdrücke der Geschwindigkeit, der Bewegung, des Am-Leben-Seins?
Etwas Anderes lässt uns jedoch besonders innehalten: das Auftauchen offener, ineinander übergehender Halbkreise. Während der Kreis als Motiv ab und zu durch Goetzes Werke huscht, lässt er Harmonie zurück. Er hat weder Anfangs- noch Endpunkt, er verweist in keine Richtung. Der disharmonische Halbkreis bringt uns jedoch aus dem Gleichgewicht – er ist im Dazwischen. Und da ist er so schön: Im Hintergrund bunter Polarlichter rollt das wolkige Konstrukt über den Horizont. Blass im Gestirn erkennt man die Schrift des Künstlers: „Die Blaue“ steht da. Eine Hommage an eine ‚Blaue Reiterin‘?
Der Kreis schließt sich bei den Kraftquellen von Raum und Zeit, die zuletzt über Sein und Nicht-Sein entscheiden. Ohne Zeit kein Raum und ohne Raum keine Zeit. Rayk Goetze malt die Spuren, die beide im menschlichen Leben hinterlassen. Eine Diskrepanz aus Haben und Nicht-(Mehr)-Haben; aus dem Moment wird im Wimpernschlag Vergangenheit – die ewige Jugend wird zur verlorenen Jugend. Wie eine seltsame Leidenschaft liegt sie in den Bildern, lodert wie ein melancholisches Feuer, das richtig entfacht werden will. Eine Läuferin entflammt bereits mit der Fackel den Horizont: „Try to set the night on fire.“ Doch hier geht es um mehr als einen Song von den Doors. Goetzes Arbeiten handeln von Polaritäten wie Hoffnung und Verzweiflung, Tod und Leben, Spiritualität und Nihilismus – „Try now we can only lose.“
Es spielt keine Rolle, „wo“ und „wann“ wir uns befinden. Seine Kunst ist schön, erstaunlich und in ihrer Außergewöhnlichkeit doch vertraut. Wie ein vergoldetes Magnum-Eis wirkt seine Welt zu spektakulär, um nur Alltag zu sein, doch letztendlich erkennen wir seinen süßen Geschmack wieder. Im Hintergrund spielt die wohlbekannte Melodie, das Gitarren- und Orgelsolo; im Zentrum steht Rayk Goetze und behält die Antworten für sich. Denn im Dazwischen existiert nur das Jetzt. Alles ist vergänglich, also: C'mon Baby, light my fire!
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